April 26, 2022

Es lebe die Kunst!

Wissenschaftliche (Massen-) Kommunikation kann nicht gelingen. Zu sehr mutet der wissenschaftliche Diskurs den Rezipienten zu: sie sind aufgefordert zu reflktieren, zu hinterfragen, zu prüfen. Fast immer fehlt auch das erweiterte Grundlagenwissen der Disziplin und deren Methoden, ohne das eine kritische Diskussion im wissenschaftlichen Diskurs nicht möglich ist. Es überrascht daher nicht, dass Ergebnisse wissenschaftlicher Disziplinen nur dann erfolgreich rezipiert werden, wenn sie entweder aus dem eigenen Fachgebiet sind, in dem man sich sicher bewegen kann, oder von „(als) vertrauenswüridgen (empfundenen)“ Quellen stammen. Vertrauen ist jedoch zutiefst irrational, denn es lässt sich kaum messen und quantifizieren. Ähnlich wie bei Marken, wo Konsument*innen bereit sind mehr Geld für eine Ware oder Dienstleistung zu bezahlen, wenn sie von einer Marke, mit der man sich persönlich verbunden fühlt, zu bezahlen, gibt es „Sender“ (Personen, Organisationen, Insitutitionen), deren Ergebnissen und Schlussfolgerungen man vertraut, ohne jeweils sich die Mühe machen zu müssen, die gesamte Faktenlagen, methodische Genauigkeit, Fehleranfälligkeit etc. zu prüfen. Das macht auch Sinn, da wir Menschen gezwungen sind, täglich tausende von kleinen Entscheidungen zu treffen und nicht die Ressourcen haben, jedes Mal mit höchsten wissenschaftlichen Vernunft-Maßstäben die Sachverhalte zu analysieren. Dies hat dann aber auch zur Konsequenz, dass wenn ein „Sender“ einmal als nicht vertrauenswürdig empfunden ist, sie oder er sagen kann was sie oder er will – es hilft alles nichts. Die Botschaft wird emotional geblockt und kann, so sehr sie such in ihrer Herleitung schlüssig und methodisch korrekt erarbeitet ist, nicht verfangen.

Emotionen also. Das Gegenteil von dem, was der wissenschaftliche Vernunftdiskurs verlangt, ist offensichtlich entscheidend für das Empfinden von Wahrheiten oder Schlussfolgerung. Persönliche und damit am Ende auch gesellschaftliche Veränderungen, so die These hier, können nur durch emotionale Erlebnisse erreicht werden. Ein Konsens zum Atomausstieg wäre ohne die Katastrophe von Fukujima nicht denkbar gewesen – das emotionale Ereignis – die Verseuchung der Welt, hat die Angst vor einem ähnlichen Ereignis im eigenen Umfeld getriggert und fällt auf den gut beackerten Boden: Atmokraft ist schlecht und kann somit akzeptiert werden. Ohne selbst ein Experte für Atomenergie zu sein, ist die Entscheidung offensichtlich emotional / irrational getroffen, da die vernünftigen Gründe mit dem auslösenden Ereignis in Fukujima nichts zu tun gehabt haben.

Wenn also Emotionen besser geeignet sind, Verhaltensänderungen hervorzurufen, braucht es Diskurse, die evident basierte wissenschaftliche Diskurse in emotionale Botschaften konvertieren kann. Das ist Aufgabe des ästhetischen Diskurses. Dabei ist wichtig, dass es hierbei jetzt nicht nur um die bildenden Künste geht, sondern über alle Diskursform, in denen ästehtische Zeichen und Methoden eine Rolle spielen, zum Beispiel auch bei so „profanen“ Aspekten wie Werbung oder Instagram-Posts. Letztere werden intensiv genutzt, um Markenbildung zu betreiben, also über Ästehtik Emotionen anzusprechen, die bei der/dem Einzelnen Vertrauen schafft (um dann auf der Basis Kauf-/Konsumentscheidungen zu treffen). Veränderung ist nur über den ästhetischen Diskurs machbar und seine Bedeutung in der aktuellen Diskussion mitunter völlig unterbewertet. Es sind insbesondere Künstlerinnen, die in der Lage sind, mit unser Wahrnehmung so zu spielen, dass wir berührt werden und darüber bereit werden, unsere Positionen zu hinterfragen. Kunst muss nach immer neuen Ausdrucksformen suchen, um die Risiken und Gefahren für die Teilhabenden einer Gesellschaft transparant zu machen – und idealerweise unabhängig von wirtschaftliche und politischen Interessen. So können neue Gedanken simuliert werden, so können neue Diskurse gestartet werden, so beginnt Kreativität, die unsere letzte Hoffnung ist, die Vielfalt der Krisen ohne zu viel persönliches Leid erdulden zu müssen. Künstlerinnen und Künstler sind gefragter als je zuvor und ihre Arbeit muss stärker in den Alltag einfließen, sie müssen aus der Feuilleton Falle befreit werden, wo sie in exklusiven abgeschlossenen Zirkeln gefangen bleiben. Gleichsam darf der ästhetische Diskurs nicht zu Unterhaltung degradiert werden. Jede Serie, jeder Film, jedes Theaterstück oder Musical, jedes Kunstobjekt, jede Fotografie (und so weiter und so weiter) – kurz jedes ästhetische Objekt, das sich nicht inhaltlich positioniert, ist eine Vergeudung des Potentials des ästhetischen Diskurses und damit eine vertane Chance auf die Veränderung dieser Welt.

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